ESSAY-BRIEF

Essay-Brief  November 2017

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Gegenwärtig-Sein

© Bernd Helge Fritsch

 

Präsenz

Präsenz erfordert „Nicht-Denken“. Gedanken behindern die Verbindung mit dem allumfassenden „Sein“. Nicht-Denken ist eine hohe Kunst – die Königin aller Künste. Wer sie beherrscht, für den öffnet sich das Tor zum befreiten, bewussten Sein, zu anhaltender Freude und Seligkeit.

Nicht-Denken erfordert kein aktives Tun, sondern ein Unterlassen. Nur ein Loslassen ist erforderlich – Wovon? Loslassen vom unkontrollierten Gedan-kenstrom und den von ihm verursachten Sorgen, Wünschen und Problemen. Dazu müssen allerdings uralte Verhaltens-Muster aufgegeben werden. Das wiederum erfordert ein hohes Maß an Achtsamkeit.

„Nicht-Denken“, „präsent sein“, in der „reinen Wahrnehmung“ verweilen und der neutrale, in sich ruhende „Beobachter sein“, diese Begriffe um-schreiben im Wesentlichen denselben Bewusstseins-Zustand. All diese Worte deuten hin auf unser wahres, jenseits aller Worte erfahrbares Sein.

Der Mensch ist ein Wesen, das – wie alle Erscheinungen im Universum – aus der Kraft des universellen Bewusstseins entstanden ist. Doch der Mensch unterscheidet sich von allen anderen Geschöpfen dadurch, dass er nicht nur zu 100% aus göttlichem „Sein“ besteht, sondern dass er sich dieses Seins und damit seiner unbegrenzten Göttlichkeit, bewusst sein kann.

Nicht-Identifikation

Wir Menschen sind dazu auserkoren, im Verlauf unseres Erdendaseins höchstes Bewusstsein (Gott-Sein) zu verwirklichen. Es ist dazu notwendig unsere irrtümliche Identifikation mit der Welt der Formen, mit der Welt der vergänglichen Erscheinungen – wozu insbesondere unser Körper, unser Denken, Fühlen und Wollen, unsere Vergangenheit und unsere Besitztümer zählen – zu beenden. Dies führt zu einer Transformation unseres Ego-Bewusstseins. Letztlich entschleiern wir auf diese Weise unsere wahre We-senheit, welche identisch ist mit dem allumfassenden Sein.

Unsere verhängnisvollen Identifikationen entstehen durch den unkontrollier-ten Strom von Gedanken, von dem der „normale“ Mensch durch sein Leben getrieben wird. Diese Gedanken verhindern das Aufleuchten des bewussten Seins in uns. Durch unsere Identifikationen begrenzen wir unser unendlich weites, wunderbares und unfassbar schönes, unsterbliches Sein. Diese Beschränkung verursacht Karma und Leid. Denn alles Karma entsteht nur durch mangelnde Präsenz, durch unbewusstes Denken und Handeln. Doch die gute Nachricht lautet: Umgekehrt, löst sich jegliches Karma wie Morgen-Nebel in der Sonne auf, sobald wir anhaltend präsent sind.

Mühe oder Mühelosigkeit?

Um sich aus der Sklaverei der Gedanken zu befreien, ist, wie gesagt, kein aktives Tun, erforderlich. Wohl aber wird nur beharrliches Bemühen um Präsenz und Achtsamkeit zum Erfolg führen. In diesem Sinne spricht Ramana Maharshi:

„Ohne Bemühung kein Erfolg. Geisteskontrolle ist nicht einfach unser Geburtsrecht. Die wenigen Siegreichen verdanken ihren Erfolg ihrer Be-harrlichkeit.“       

 

Ramana erklärt, dass es einen Bewusstseins-Zustand jenseits von Mühe und Mühelosigkeit gibt. Bis man diesen erreicht hat, müsse man sich bemühen. Und er fügt hinzu:

„Doch wenn man einmal diese Glückseligkeit gekostet hat, so wird man immer wieder versuchen sie zu gewinnen. Niemand, der einmal die Se-ligkeit des großen Friedens erfahren hat, möchte ohne sie sein.“

 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein angestrengtes „Nicht-Denken-WOLLEN“ ebenso ein Hindernis für unser befreites Sein bildet, wie die Vernachlässigung von spirituellem Studium, Achtsamkeit und Meditation. Jedes „Etwas-Erreichen-Wollen“ führt uns weg von der Vollkommenheit des gegenwärtigen Seins. Doch sich gehen lassen und primär auf weltliche Angelegenheiten ausgerichtet sein, wird nicht zur angesprochenen seligen Seins-Bewusstheit führen.

Wie können wir uns befreien?

Was also sollte geschehen, um uns von zwanghaften Gedanken zu befreien?

Befreiung geschieht nur im „Jetzt“ – durch deine Gegenwärtigkeit. Beobachte dein Innenleben:

Vermeide Personen und Geschehnisse rund um dich (laut oder leise) ge-danklich zu kommentieren – zum Beispiel: als „gut“ oder „schlecht“, „erfreu-lich“ oder „unerfreulich“, „mag ich“ oder „mag ich nicht“, als „schrecklich“ oder „ärgerlich“.

Beschäftige dich weder mit deiner Vergangenheit noch mit deiner Zukunft. Vergiss deine Geschichten, deine ehemaligen Freuden und Leiden! Lass ab von deinen Wünschen, Erwartungen, Hoffnungen, Sorgen und Ängsten – die sich immer auf die Zukunft beziehen!

Soweit unser Bewusstsein mit Bewertungen, mit unserer Vergangenheit und mit Gedanken an die Zukunft ausgefüllt ist, können wir das befreiende und beglückende „Sein“ nicht wahrhaben.

Meister Eckehart hat dieses spirituelle Gesetz so ausgedrückt:

Leer sein aller Kreaturen ist Gottes voll sein,
und voll sein aller Kreaturen ist Gottes leer sein.

 

Im Zustand der Präsenz, der Hingabe an den Augenblick, im Zustand der gedanklichen Stille, bist du dir ganz von selbst deines eigentlichen „Seins“ bewusst. Denn DU BIST ES, das unbeschreibbare, grenzenlose Sein. Du kannst es nicht erdenken, sondern nur fühlen, nur sein.

Selbstbeobachtung

Gegenwärtigkeit wird erreicht, wenn du stets darauf achtest, was in dir, in deinem Bewusstsein vor sich geht. Sind es Sinneswahrnehmungen? Sind es Gedanken oder Gefühle? Nimm wahr was sich in dir ereignet und vermeide auf deine Wahrnehmungen mit deinen gewohnten Verhaltens-Mustern (z.B. mit Ablehnung, Widerstand oder Wünschen und Begehren) zu reagieren. Verbleib in der Rolle des neutralen, unbeteiligten und dennoch liebevollen Beobachters von dem, was sich in dir und um dich ereignet.

Durch diese Art die Welt und sich selbst zu beobachten, erreichst du auto-matisch eine höhere Bewusstseins-Dimension. Du gewinnst Abstand von allen Ereignissen in deinem Umfeld und ebenso von dir selbst - deinem Ego. Die Identifikation mit deinem Körper, deinen Gedanken und Gefühlen löst sich nach und nach auf und dein „wahres Ich“ – die alten indischen Weisen bezeichneten es als „Sein, Bewusstsein und Glückseligkeit“ (Sanskrit: sat, chit, ananda) – verwirklicht sich.

Nicht-Denken

Im „Normalzustand“ ist unser Bewusstsein bis „zum Rand“ angefüllt mit Gedanken. Wobei sich der Mensch in der Regel seines pausenlosen Denkens gar nicht bewusst ist. Erst wenn wir versuchen „Nichts“ zu denken oder uns von zwanghaften, sorgenvollen Gedanken zu lösen, bemerken wir wie Ge-danken ungefragt erscheinen und wie schwer es ist, sie in den Griff zu be-kommen.

Wie jeder, der von beunruhigenden Gedanken geplagt wird, feststellen kann ist Denken zu „müssen“ eine Qual. Alle Probleme des Menschen entstehen durch unbeobachtetes Denken. Fast alle Menschen leiden – mehr oder min-der intensiv – unter dieser Krankheit. Kaum jemand vermag mit wachen Sinnen in das beglückende, göttliche „Nicht-Denken“ einzutauchen. „Selig“ sind diejenigen, die fähig sind, das in der Regel unnötige Denken zu unter-lassen. In diesem Sinne sind die Worte Jesu zu verstehen:

„Selig sind die Armen im Geiste,

denn ihrer ist das Himmelreich.“        

Mat.5,3

 

 

Fortsetzung folgt